Ulf von Krause

„Die Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik“

Eine Rezension von Johannes Varwick

Die Veröffentlichung von Dr. von Krauses neuem Buch liegt mir sehr am Herzen. Die Bundeswehr ist für jeden Autor eine sperrige Materie. Denn sie macht es dem Betrachter nicht leicht. Die deutsche Gesellschaft ist – aus zum Teil sehr nachvollziehbaren Gründen – bis in ihre tiefsten Tiefen gegenüber sicherheitspolitischen Fragen unempfänglich und sieht Militär dezidiert nicht als Teil der Außenpolitik. Dies lässt sich an Diskussionen über jeweils aktuelle Krisen und Konflikte und dem Stellenwert sicherheitspolitischer Themen in der Öffentlichkeit belegen. Anders formuliert: die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland ist regelmäßig, sie ist kurz und hat immer das gleiche Ergebnis: Militär nein Danke!

Ich will nicht unterstellen, es gebe eine wissenschaftliche Methode, „gute deutsche Sicherheitspolitik” im Labor der Politikwissenschaft zu destillieren und dann auch noch handlungsleitend für die Politik zu formulieren. Nein. So einfach geht es leider nicht. Aber die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sicherheitspolitischen Fragen kann durchaus dazu beitragen, den politischen Kompass richtig und abgewogen zu justieren.

Im Falle von Dr. Ulf von Krause kommt ein besonders glücklicher Umstand zusammen. Er hat die Bundeswehr 42 Jahre lang aus der Innenperspektive erlebt und war zuletzt als Generalleutnant in führender Position mit deutscher Sicherheitspolitik befasst. Dann hat er nach dieser langen Karriere gewissermaßen die Perspektive gewechselt und sich wissenschaftlich mit deutscher Sicherheitspolitik auseinandergesetzt. Bereits in seiner 2011 erschienenen Dissertationsschrift hat er sich sehr kritisch mit den Afghanistaneinsätzen der Bundeswehr auseinandergesetzt. Mit der heute vorzustellenden Schrift legt er seine zweite Monographie vor – ein Tempo, bei dem den meisten etablierten Wissenschaftlern schwindelig wird!

Viele Autoren tun sich überdies schwer bei dem Versuch, sich der Bundeswehr analytisch zu nähern. Vielleicht gerade deshalb sind Bücher über die Bundeswehr eher selten. Und vielleicht deshalb sind viele dieser Bücher auch nicht besonders gut. Nach der Lektüre so mancher Monographie musste ich an den amerikanischen Autor und Kritiker Ambrose Bierce denken. Bierce war nämlich berühmt dafür, ein Buch in nur einem einzigen Satz vollkommen zu vernichten. So urteilte er einmal über ein Werk mit den schlichten Worten: „Die beiden Deckel dieses Buches liegen zu weit auseinander.“

Umso mehr muss man es daher schätzen, wenn hin und wieder ein Buch über die Bundeswehr erscheint, dessen Deckel nicht zu weit auseinander liegen, und das sich folglich zu lesen lohnt. Von Krauses Buch gehört in eben diese Kategorie. Denn Dr. von Krause gibt sich nicht damit zufrieden, einfach eine Chronologie der Bundeswehr abzuliefern. Er gibt dem Leser weit mehr. Sein Buch ist Faktensammlung, Chronologie und Analyse zugleich. Man erfährt also nicht nur etwas über die Gründung, die Geschichte und die Organisationsstrukturen der Bundeswehr, sondern auch vieles über den sich wandelnden Sicherheitsbegriff, die strategische Kultur des Landes und vieles mehr. Dass sich der Verfasser dabei nicht, wie manche anderen, im Dickicht von abstrakten Begriffen und abgehobenen Theorien verliert, ist ein weiterer Pluspunkt, der dieses Buch auszeichnet.

Das Buch unterscheidet durchgängig zwei Perspektiven: Zum einen das Verständnis der politischen Ebene von der Funktion der Streitkräfte und zum anderen die Wahrnehmung der Rolle der Streitkräfte in der Gesellschaft. Einer der Schlüsselsätze in dem Buch lautet: „Es ist der Politik nicht gelungen, die Gesellschaft bei ihrer Normalisierung in der Sicht auf das Militär als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik mitzunehmen.“

War die Bundeswehr viele Jahrzehnte lang dazu da, nicht eingesetzt zu werden, so hat sich das inzwischen gründlich geändert. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Mit dieser Veränderung hat die deutsche Sicherheitspolitik einen langen, innenpolitisch äußerst umstrittenen Weg zurückgelegt. Die Rolle militärischer Macht wurde neu bewertet und der Weg für eine aktivere Rolle Deutschlands bestritten. Aber die deutsche Politik hat gerade erst damit begonnen, die Strukturen, Mentalitäten und Ressourcen dem anzupassen. Man wird dies ohne Übertreibung unverantwortlich nennen können.

Andererseits fällt auf, dass deutsche Außenpolitik immer gerne da vorne dabei ist, wo es um ‚das Schöne und Gute‘ geht, und sich weniger dort besonders engagiert wo es um unangenehme und vielleicht auch risikoreiche Beiträge geht. Es ist eben einfacher, sich dafür einzusetzen, in allgemeiner Form für globale Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einzutreten als sich an einer innenpolitisch unpopulären Intervention in Libyen zu beteiligen. Die ‚Kultur der Zurückhaltung‘ (für die zudem die Partner Deutschlands immer weniger Verständnis aufbringen) und die ‚Kultur der Verantwortung‘ sind in der deutschen Außenpolitik in den vergangenen Jahren nicht immer richtig austariert worden. Der von Hans-Dietrich Genscher in einer bestimmten historischen Konstellation völlig zu Recht beschworene Gegensatz von Verantwortungspolitik und Machtpolitik ist insofern nicht mehr das Kernproblem für deutsche Außenpolitik.

Dr. von Krause schreibt mit einer positiven Grundhaltung der Bundeswehr gegenüber – aber er idealisiert die Bundeswehr nicht. Dass der Autor einen militärischen Hintergrund hat, sollte uns zudem nicht zu falschen Urteilen verleiten lassen. Denn es ist ja nicht so, dass Militärs zu denen gehören, die vorschnell zum Einsatz von Militär raten würden. Wahrscheinlich sogar im Gegenteil: sie kennen die Begrenztheit dieses Instrumentariums sehr genau. So arbeitet der Autor auch sehr klar die strukturellen Probleme auf, die die Bundeswehr belasten. Dazu gehören die Erfahrungen mit dem Missbrauch des Militärs in Deutschland ebenso wie das nur schwer auflösbare Spannungsverhältnis zwischen Militär und Demokratie. Auch der Umstand, dass Militär gelegentlich nicht nur als Instrument, sondern geradezu als Ersatz für Politik eingesetzt wird, wird in dem Buch heftig und sachkundig kritisiert.

Die Bundeswehr ist kein normales Instrument der Politik. Aber sie verdient Aufmerksamkeit in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Das Desinteresse an sicherheits- bzw. militärpolitischen Fragestellungen und das reflexhafte Ablehnen des Militärischen mag angesichts der Erfahrungen mit deutschem Militär im 20. Jahrhundert berechtigt sein. Der unproduktive Streit zwischen „Bellizisten“ und „Pazifisten“ jedoch sollte ad acta gelegt werden und einem konstruktiv-kritischen Diskurs im Umgang mit militärpolitischen Fragestellungen weichen.

Dr. von Krause hat eine klare, nüchterne und lesbare Darstellung der Bundeswehr abgeliefert, die wahrscheinlich für die nächsten Jahre das Standardwerk zu diesem Thema sein wird. Dem Autor möchte ich deshalb herzlich gratulieren. Und auch dem Spinger-VS-Verlag möchte ich meine Anerkennung aussprechen. Bundeswehr-Planer reden seit einigen Jahren viel über die „usability“ der Streitkräfte. Dr. von Krauses Buch erfüllt hier die strengsten Maßstäbe. Denn es ist „one hundred percent usable“ – und ich hoffe, dass es weite Verbreitung finden wird.

Professor Dr. Johannes Varwick ist Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther- Universität (MLU) Halle-Wittenberg.

 

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