Im Land der Wälder und der Cybergesellschaft

Von Peter E. Uhde 

Seit Anfang September sind vier Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 auf dem estnischen Luftwaffenstützpunkt Ämari, südwestlich von Tallinn, zur Sicherung des Baltischen Luftraumes stationiert. Der Stellvertretende Base Commander Ütar Löhmus führt die Mitglieder der Europäischen Militärpressevereinigung (EMPA), die sich zum diesjährigen Kongress in Tallinn (rd. 420.000 Einwohner, früher Reval) getroffen haben, über den Flugplatz. 930 Hektar umfasst er mit allen für einen Flugbetrieb notwendigen Gebäuden und Einrichtungen.

Eurofighter der Alarmrotte im Hangar des Luftwaffenstützpunktes Ämari   Foto: Peter E. Uhde

Neuburger Feuerwehr auf estnischem Flugplatz

Als deutscher Betreuer der Militärjournalisten steht Oberstabsfeldwebel  Jürgen E. zur Verfügung. Er macht eine Wehrübung und ist im Zivilberuf beim Amt für Flugsicherheit tätig. Das Interesse ziviler deutscher Medien am Air Policing ist seit dem Einsatz des Neuburger Geschwaders gewachsen. Rund 150 Soldaten sind für den Einsatz nötig, um sicherzustellen, dass die aus dem Hangar startende Alarmrotte, zwei Maschinen, in 15 Minuten in der Luft ist. Da die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen über keine eigenen Kampfflugzeuge verfügen, übernimmt die NATO diese Aufgabe. So sind seit dem Beitritt 2004 immer wieder andere Nationen mit ihren Flugzeugen auf dem südwestlich von Tallinn gelegenen Flugplatz im Einsatz. Portugal, Kanada, die Niederlande waren es schon. 2015 wird Spanien die Aufgabe übernehmen.  Noch aber sind die Fahrzeuge mit der Y-Kennung zu sehen, darunter auch die heimische Flugplatzfeuerwehr mit dem auffallenden roten Löschfahrzeug im Gegensatz zum gelben der Esten.

Löschfahrzeuge der Bundeswehr unterstützten die einheimische Flugplatzfeuerwehr   Foto: Peter E. Uhde

Selbstbestimmung und Unterdrückung im Wechsel

Die Geschichte Estland ist eine, die zwischen Selbstständigkeit und Fremdherrschaft gewechselt hat. 1219 wird Estland von Dänemark erobert. 1346 erwirbt der Deutsche Orden das Land. Dann kommt eine Zeit unter schwedischer Herrschaft und 1721 fällt es an Russland. 1918 ist Estland von deutschen Truppen besetzt. Nach deren Abzug im Dezember und Januar 1919 kämpfen die Esten gegen Bolschewisten. Durch britische und finnische Hilfe siegen sie.  Bei einer Bodenreform 1919 werden die deutschbaltischen Gutsherren enteignet. Im Vertrag von Dorpat vom 2. Februar 1919 wird Estland von Russland anerkannt. Am 15. Juni tritt die Verfassung für eine demokratische Republik in Kraft.

Die sowjetische Zeit hat Spuren hinterlassen

Am 23. August 1939 wird der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der UdSSR in Moskau geschlossen. In einer geheimen Vertragsergänzung  „desinteressiert sich Deutschland an den baltischen Staaten“ – mit Ausnahme von Litauen, das durch den deutsch-sowjetischen Vertrag vom 28. September in die sowjetische Interessensphäre fällt. Sowjetische Verträge mit Estland, Lettland und Litauen räumen der Sowjetunion Stützpunkte ein. 1940 müssen sie der Sowjetunion weitere Stützpunkte einräumen, die mit Truppen besetzt werden. Im Juni werden die drei Staaten gezwungen ihre Regierungen umzubilden. Im Juli/August folgt der Anschluss der drei Republiken als sozialistische Sowjetrepubliken an die UdSSR. Nach Beginn des Russlandfeldzuges besetzt die Wehrmacht die drei Länder und bildet das Reichskommissariat Ostland. Nach dem Rückzug der Wehrmacht 1944/45 wird der 1940 geschaffene Zustand wieder hergestellt.

Eine lettische Fahrzeugbesatzung erwartet die Besucher zur Einweisung   Foto: Peter E. Uhde

Wieder ein eigener Staat

Die Estnische Sowjetische Sozialistische Republik besteht dann bis 1991, als sie zusammen mit Litauen und Lettland ihre Souveränität wieder erlangt. Bis Ende August 1994 haben alle russischen Truppen das Land verlassen. Am 29. März 2004 wird Estland Mitglied des Atlantischen Bündnisses und am 1. Mai auch der Europäischen Union. Seit  Januar 2011 ist die estnische Krone nicht mehr Zahlungsmittel sondern der Euro die offizielle Landeswährung. Das Bruttoinlandsprodukt beträgt rund 13.000 Euro, in Deutschland liegt es bei ca. 32.800 Euro. Die wichtigsten Handelspartner sind Schweden, Finnland, Russland, Lettland, Litauen, die Vereinigten Staaten und dann Deutschland.  Die rund 1,4 Millionen Einwohner leben auf rund 45.200 qkm Landesfläche, wovon ca. 50 Prozent bewaldet ist. Von der Bevölkerung sind ca. 70 Prozent Esten und 25 Prozent Russen. Die restlichen Bewohner sind Ukrainer, Weißrussen, Finnen u.a. In der Hauptstadt Tallinn, einer alten Hansestadt,  haben ca. 36 Prozent der  gut 400.000 Einwohner einen russischen Pass. Die russische Annexion  der Krim und die Entwicklung in der Ukraine werden  von den Esten kritisch beobachtet.

Zugehörigkeit zum  Atlantischen Bündnis

Die Zugehörigkeit zur NATO ist daher eine Rückversicherung auf deren Beistand im Fall einer politischen Krise mit Russland gerechnet wird. Beim Besuch im Baltic Defence College in Tartu und im Cooperative Cyber Defence Center of Excellence in Tallinn wird die  Zusammenarbeit der baltischen Staaten und der der anderen NATO Mitglieder deutlich. Das College wurde 1998 gegründet, der Kommandeur wechselt alle drei Jahre zwischen den baltischen Staaten. Der Stab und das Lehrpersonal ist international besetzt, Oberst i.G. Axel Pfaffenroth ist Chef des Stabes. In den 15 Jahren seines Bestehens wurden 10030 Lehrgangsteilnehmer aus 38 Nationen auf taktischer, operativer und strategischer Ebene ausgebildet.  Das Heer ist personell die stärkste Teilstreitkraft. Etwa 3.600 Soldaten dienen in einer Infanteriebrigade und den Verteidigungsregionen Nord, Süd, Nordost und West. Das Scouts Bataillon ist eines in der Brigade. 1918 aufgestellt, wurde es 2001 reaktiviert und hat mit seinen rund 670 Berufs- und Zeitsoldaten in internationalen Militäreinsätzen im Libanon, Kosovo und Afghanistan teilgenommen. Die Bewaffnung und Ausrüstung stammt  teilweise noch aus russischen Beständen, kommt aber auch aus Finnland, Schweden, Dänemark, Großbritannien, den USA, Deutschland und Israel.  Etwa 1.500 Wehrpflichtige, die zwischen acht und elf Monaten dienen  werden jedes Jahr eingezogen.

Oberst i.G. Axel Pfaffenroth im Gespräch mit der Präsidentin der EMPA, Liga Lakuca aus Lettland, und Brigadier Wolfgang Peischl aus Österreich   Foto: Peter E. Uhde

Viel Küste aber keine schlagkräftige Marine

Die etwa 300 Mann umfassende Marine ist hauptsächlich zur Überwachung des Schiffsverkehrs eingesetzt.  Zusammen mit Lettland und Litauen bilden sie auch einen Minensuchverband. Die 200 Soldaten der Luftwaffe dienen hauptsächlich in der Luftraumüberwachung und in der Luftraumsicherung. Im September 2010 wurde der schon erwähnte Flugplatz Ämari wieder in Betrieb genommen. Gut ein Drittel der rund 100 Millionen Euro kamen aus dem NATO Security Investment Programm. Seit 2010 hat Estland seinen Verteidigungshaushalt von 1,74 Prozent des BIP auf fast 2 Prozent erhöht, ca. 314 Millionen Euro, und hat damit die NATO Forderung von 2 Prozent erreicht. Deutschland liegt bei 1,3 Prozent. Die augenblicklichen Diskussionen um die Mängel in der Einsatzbereitschaft haben den Ruf nach Erhöhung des Verteidigungshaushaltes verstärkt.

Im nächsten Jahr ist Deutschland 25 Jahre vereint. Aus diesem Grund wird die Vereinigung der Europäischen Militärpresse sich zum Kongress in Berlin treffen.

 

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