Von Peter E. Uhde

1981 standen sowjetische Truppen für einen Einmarsch in Polen bereit. Im kommunistischen Bruderland war die Gefahr eines Bürgerkrieges gegeben. In einer Nacht- und Nebelaktion verhängte Regierungschef General Wojciech Jaruzelski am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht über das Land. Wie kam es dazu?

Die polnischen Krisenjahre

Am 14. August 1980 heulten auf der Lenin-Werft in Danzig Sirenen, sie bedeuteten Streikbeginn. Seit Gründung der Gewerkschaft „Solidarnosc“ durch den Werftarbeiter Lech Walesa stand das kommunistische Herrschaftssystem unter ständigem Druck. Durch die neue Arbeiterbewegung fürchtete die herrschende Nomenklatura ihre Macht zu verlieren. Mit der Verhängung des Kriegsrechts sollte das verhindert werden.

Mit „ihrem“ Papst schöpften die Polen Hoffnung

Die Regierung unter Edward Gierek beabsichtigte die Streiks niederzuschlagen. Die Armeeführung riet ihm von diesem Schritt ab. Sie sah die Gefahr eines Bürgerkrieges. Die Toten der Arbeiterunruhen 1970 und das Krisenjahr 1975 waren  der Bevölkerung noch in Erinnerung.

Der ehemalige Bischof von Krakau Karol Woityla war seit dem 16. Oktober 1978 Papst Johannes Paul II. Auf seiner ersten Reise durch die Heimat im Juni 1979 wurde er begeistert gefeiert. Die gläubigen Polen sahen in ihm einen Fürsprecher für ihre Sorgen und Nöte.

Seit Gründung der Massenbewegung entwickelte sich eine „Doppelherrschaft“. Auf der einen Seite stand die immer stärker werdende Gewerkschaft Solidarnosc, ihr gegenüber, ohne Rückhalt in der Bevölkerung, die Regierung. „Runde Tische“ und endlose Diskussionen in und mit den Parteigremien lösten nicht die gesellschaftlichen und vor allem die wirtschaftlichen Probleme des Landes.   

Am 19. März 1981 wurden in Bromberg Aktivisten der Solidarnosc von Staatsorganen verprügelt. Der durch die Gewerkschaft beabsichtigte Generalstreik, der das Land lahm gelegt hätte, wurde durch die Intervention des Primas Kardinal Stefan Wyszynski abgewendet. Die Regierung hatte mit der Verhängung des Kriegsrechts gedroht. Bei einem Gespräch zwischen dem seit Februar amtierenden Regierungschef General Jaruzelski und Kardinal Wyszynski in dessen Residenz wurde versucht, die Spannungen zu entschärfen. Jaruzelski erhoffte sich vom Primas, dass dieser die Gewerkschaftsführung mäßigend beeinflusse.

Am 13. Mai erschütterte das Attentat des Türken Ali Agca auf den Papst in Rom besonders die polnische Bevölkerung. Zwei Wochen danach starb auch noch der beliebte und in ganz Polen hoch angesehene Kardinal Wyszynski. Sein Nachfolger wurde Erzbischof Jozef Glemp.

Befürchtungen vor einem Dominoeffekt

Die Ereignisse in Polen wurden besonders in der Sowjetunion kritisch beobachtet. Die Führung erwartete von ihren sozialistischen Brüdern ein härteres Durchgreifen gegen die Solidarnosc. Befürchtungen, dass die Reformbestrebungen auch in andere Länder des Warschauer Paktes und in die Sowjetunion übergreifen könnten, wurden nicht ausgeschlossen.

Die Parteiführung versuchte in einer neuen Koalition von Kommunisten, Katholiken und Solidarnosc eine „Front der nationalen Verständigung“ zu bilden. Am 4. November kam es zum Treffen von Jaruzelski, Glemp und Walesa. Konkrete Ergebnisse für eine Entspannung brachte es aber nicht. Als im polnischen Parlament, ein Gesetz über außerordentliche Maßnahmen, gemeint war u.a. Streikverbot eingebracht werden sollte, drohte die Solidarnosc mit einem nationalen Protesttag für den 17. Dezember. Sie verlangte eine Volksabstimmung über das Vertrauen in die Regierung sowie die Möglichkeit freier Wahlen.

Alle Macht in eine Hand

Deren Antwort erfolgte umgehend, die Vorbereitungen dafür waren längst getroffen. Am 13. Dezember wurde über ganz Polen das Kriegsrecht verhängt. Die abendliche Predigt Kardinal Glemps in Warschau, in der er Regierung und Gewerkschaft zur Mäßigung aufrief und vor einem Blutvergießen warnte, hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass Polen nicht auf Polen geschossen haben.

Mit der Verhängung des Kriegsrechts hatte Jaruzelski alle militärische Macht in der Hand. Das waren die Armee 330.000 Mann, das Sicherheitskorps 77.000 Mann, die ORMO (Ochotnicza Rezerwa Milicji Obywatelskiej, d.h. Freiwillige Reserve/ Bürgermiliz) 350.000 und die Grenztruppen 18.000 Mann.

Als Ministerpräsident, Verteidigungsminister und Oberkommandierender der polnischen Streitkräfte hatte er eine in der neueren polnischen Geschichte bisher einmalige Konzentration von Ämtern in seiner Person vereinigt. Neu geschaffen wurde auch noch der „Militärrat der nationalen Errettung“ (WRON – Wojskowo Rada Ocalenia Narodowego), der eine Art Überregierung darstellte.

Wer war dieser Mann?

Wojciech Jaruzelski wurde am 23. Juli 1923 als Sohn einer katholischen Landadel Familie in Ostpolen geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in einem Internat in Warschau. 1939 war die Familie nach Litauen geflohen und von dort durch Truppen der Roten Armee in die Sowjetunion deportiert. Er schloss sich den auf sowjetischer Seite kämpfenden polnischen Truppen an. Nach Kriegsende blieb er Soldat und wurde Mitglied der Polnischen Arbeiterpartei. Er machte eine steile Karriere, wurde 1956 jüngster General Polens und 1968 Verteidigungsminister.

Enttäuschung und Resignation

In der Nacht des 13. Dezember besetzte die Armee die wichtigsten strategischen Punkte, Persönlichkeiten der Solidarnosc wurden verhaftet. Die Enttäuschung über Jaruzelski und das Verhalten der Armee war groß. Mit der Verhängung des Kriegsrechts gingen einher: Aufhebung des Streikrechts, Verbot von Demonstrationen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der bürgerlichen Rechte, Teile der Wirtschaft wurden militarisiert, d.h. durch Offiziere überwacht, Einführung der Zensur für Post und Presse, Säuberung von Partei und Staatsbürokratie von unliebsamen Personen, Verhaftung von Tausenden von Bürgern, darunter auch Lech Walesa.

In den nächsten Jahren kam Polen trotzdem nicht zur Ruhe. Der Kriegszustand wurde erst im Juli 1983 aufgehoben. Von 1985 bis 1989 war Jaruzelski Staatsratsvorsitzender und ab Juli 1989 Staatspräsident.

Am 29. Dezember 1989 wurde die „Volksrepublik“ abgeschafft, die Dritte Polnische Republik konstituierte sich als parlamentarische Demokratie. Ein Jahr später wurde Lech Walesa zum Staatspräsidenten gewählt, das Amt übte er fünf Jahre aus.

Nach der Amtsaufgabe stand Jaruzelski weiter in der politischen Diskussion. Hätte die Sowjetunion, wie 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei, mit Panzern eingegriffen? Diese Frage ist bis heute unter Historikern umstritten. General Jaruzelski entschuldigte sich im August 2005 für die Beteiligung der polnischen Armee an der Niederschlagung des „Prager Frühlings“. Im März 2006 wurde gegen ihn und andere Anklage erhoben. Durch seine Erkrankung das Verfahren 2008 eingestellt. Am Sonntag, dem 25. Mai 20014 ist er im Alter von 90 Jahren in Warschau gestorben.                                                                                                     

 

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