Von Peter E. Uhde 

Nürnberger Sicherheitstagung 2014 mit dem ehem. Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel  am Rednerpult) daneben MdB a.D. Hildebrecht Braun, "Motor" der Tagung und Generalleutnant a.D. Heinz Marzi, Clausewitz-Gesellschaft

Foto: Thomas Nagel

Die Nürnberger Sicherheitstagung 2014 am 26./27. Juni  stand unter dem Motto Europa und der Nahe Osten. Damit hatten die Träger der Veranstaltung ins aktuelle Pulverfass der Krisen und Konflikte gegriffen. Ulrike Merten, Präsidentin der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik (GfW) dankte in ihrem Grußwort Tagungsleiter Hildebrecht Braun dafür, den Versuch zu unternehmen, „schwierige Themen an die Gesellschaft heranzutragen“. Dieser betonte zu Beginn, dass das Thema zwar rein außenpolitisch erscheint, es aber zunehmend unsere Sicherheit in Europa beeinträchtigt. „Ein Thema mit Brisanz“ formulierte die Nürnberger Zeitung und widmete dem ersten Tagungstag die dritte Seite.

GfW-Präsidentin Ulrike Merten bei ihrem Grußwort im Marmorsaal des Nürnberger Gewerbemuseums  

Foto: Thomas Nagel

Volk ohne Staat

Mit der Geschichte eines Volkes „ohne Staat“ den Kurden, befasste sich Kristian Brakel. Circa 37 Millionen Kurden leben in dem Länderviereck Türkei, Irak, Iran und Syrien.  Überwiegend  sind sie sunnitischen Glaubens. Ihre Bemühungen, in den Siedlungsgebieten zu Eigenständigkeit und Autonomie zu gelangen, wurden immer wieder niedergeschlagen. Die Gründung der PKK (Arbeiterpartei) 1974 führte zu Kämpfen gegen die türkische Regierung. Diese wiederum ging mit aller Gewalt gegen die PKK vor. Ihr Führer Abdullah Öcalan ist seit 1999 inhaftiert. Dem irakischen Giftgasangriff von Halabdscha im März 1988 fielen nahezu  5000 Kurden zum Opfer. Die Rolle der Europäischen Union und auch der USA  in der Kurdenpolitik ist ambivalent. Die Türkei als NATO-Partner will man nicht verärgern, indem man Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt.  Doch durch die augenblickliche politische Konstellation in den Siedlungsländern der Kurden, sieht der Referent eine Chance für einen eigenen Kurdenstaat.

Krisenregion Naher und Mittlerer Osten   Quelle: CIA Fact Book

Militär hat wieder das Sagen

Den Blick ins Land am Nil richtete Thomas Demmelhuber. Der Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak im Februar 2011 kam genau so überraschend „wie der Mauerfall 1989“. Das Militär als Quelle des Herrschaftssystems schien zu Ende. Die Wahl von Mohammed Mursi zum Staatspräsidenten läutete einen Regimewechsel ein. Ihm gelang es aber nicht, das Gewaltmonopol des Staates zu sichern und wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Der „Demokratische Staatsstreich“ vom Juli 2013 brachte wieder das Militär an die Spitze des Staates. Abd-al-Fattah as-Sisi übernahm die Regierungsgewalt und wurde schließlich am 8. Juni 2014 zum zivilen Präsidenten gewählt. Das ändert aber nichts daran, dass das Militär, vor allem auch in vielen Wirtschaftszweigen, an den  Hebeln der Macht sitzt. Die Nachbarn Ägyptens befürchten einen revolutionären „Ansteckungsprozess“.

Prof. Dr. Thomas Demmelhuber, Juniorprofessor für Politikwissenschaft an der Stiftung Universität Hildesheim 

Foto: Thomas Nagel

Die Vorgänge werden kritisch, z.B. in Saudi-Arabien, beobachtet. Ägypten sieht sich als Führungsmacht im Nahen Osten. Es ist aber wirtschaftlich abhängig von Transferleistungen, z.B. durch die Vereinigten Staaten. Zusammenfassend  ist festzustellen, dass der Arabische Frühling eine geostrategische und geoökonomische Machtverschiebung zugunsten der arabischen Halbinsel brachte. Ägypten ist nicht mehr der regionale Akteur, der es einmal war. Das bedeutet, dass es keine Vermittlerrolle im Nahostkonflikt mehr spielen wird. Für außenpolitische Grundsatzdebatten fehlen institutionelle Kapazitäten und ökonomische Spielräume. Die Zeit des regionalen Stabilitätsfaktors scheint vorbei zu sein.

Die Arabellion – Was ist davon geblieben?

Wie kam es zur sogenannten Arabellion, was hat sie für die Bevölkerung in den Staaten gebracht, in denen sie stattfand? Arabische Herrscher kennen nur Vettern- oder Klientelpolitik. Eine bürgerliche Mittelschicht wie in den Weststaaten ist nicht vorhanden. Feudale gesellschaftliche Verhältnisse sind an der Tagesordnung. Es gibt kaum ein Parteien- bzw. Politiksystem. Begonnen hat die Arabellion mit der Selbstverbrennung des algerischen Gemüsehändlers  Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid und dessen Tod am 4. Januar 2011. Die Folge war der Sturz des seit mehr als zwanzig Jahren an der Macht stehenden Präsidenten Ben Ali, der ins Ausland floh. Die Jugend rebelliert und geht auf die Straßen. Sie sieht sich in den Systemen chancenlos, für ihre Bildung und damit Zukunft wird nichts getan. Die Macht haben die fünf Prozent Superreiche, gefolgt von einer Mittelschicht von zwanzig bis vierzig Prozent und der Rest der Bevölkerung lebt von der Hand in den Mund.

Dr. Michael Lüders, Nahostexperte    Foto: Thomas Nagel

In Ägypten sind die sozialen Probleme besonders groß. Referent Michael Lüders sieht die Muslimbruderschaft in der Zukunft wieder stärker werden. Jahre der Instabilität werden auf das Land zukommen. Die nächste Revolution prognostiziert er als „blutiger werdend“. Die Terrorgruppe ISIS  (Islamischer Staat im Irak und in (Groß-) Syrien) ist seiner Ansicht nach eine „Nachgeburt“ amerikanischer Politik im Irak.  Aus der politischen Gemengelage im Irak haben sich zwei Gewinner entwickelt zum einen  die Kurden und der syrische Präsident Baschar al-Assad, der der Religionsgemeinschaft der Alawiten angehört.  „Keiner weiß was passiert, keiner hat eine Antwort“, so Michael Lüders“ in seinen Schlussbemerkungen.

Ein zerfallender Staat

Über das Chaos in Syrien,  seinen Gründen und was tun wäre, darüber referierte Guido Steinberg. Seit 2000 ist Baschar al-Assad an der Macht, die er von seinem Vater übernommen hatte. Die  vor drei Jahren beginnende politische Erhebung gegen das Staatsregime  kann in mehrere Phasen geteilt werden. Seit April 2013 ist die sunnitische Miliz „Islamischer Staat im Irak und (Groß-)Syrien“ (ISIS) ein entscheidender bewaffneter Machtfaktor im Land. Die Zerstrittenheit der Aufständischen macht es den Truppen Assads leichter, diese zu bekämpfen. Ohne die Unterstützung aus dem Iran könnte sich Assad  nicht so lange halten. Die Opferzahlen in Syrien haben inzwischen eine Dimension angenommen, über die genaue Angaben kaum möglich sind. Die Vereinten Nationen sprechen von bis zu 150.000. Steinberg prognostiziert für Syrien einen längeren Krieg in dem der Staat zerfallen wird. Die Auswirkungen in Europa und damit auch in Deutschland sind steigende Flüchtlingszahlen.  Dazu erklärte Nürnbergs Bürgermeister Christian Vogel: „Uns werden nächste Woche 212 weitere syrische Flüchtlinge zu gewiesen, wir wissen nicht wie sie untergebracht werden können.“

Barbara Lochbihler, MdEP Bündnis 90/Grüne, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im EP Foto: Thomas Nagel

Barbara Lochbihler berichtete über die Flüchtlingsströme in und durch Nordafrika sowie Länder des Nahen Ostens. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gibt es weltweit mehr als 50 Millionen Flüchtlinge. Die Ursachen sind meistens Kriege und ethnische Konflikte. Sie forderte eine Bekämpfung der Ursachen vor Ort, damit die Menschen in ihrer Heimat bleiben können. 

Ein ewiger Konflikt Israel und Palästina

Mit der Darstellung der gegenwärtigen Politik Israels und der Lage in Palästina  wurde der zweite Tag der Sicherheitstagung eröffnet. Eran Lermann, stellvertretender Leiter des Nationalen Sicherheitsrates Israels und Helga Baumgarten, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bir Zeit bei Ramallah, waren die Referenten. Die seit Jahrzehnten, einmal mehr und einmal weniger starken blutigen Konflikte zwischen Israel und den palästinensischen Freiheitsbewegungen sind augenblicklich durch die Entführung von drei Jugendlichen wieder besonders stark. Nach Baumgartens Auffassung könnten  ein Ende der israelischen Besatzungspolitik und das Zugeständnis demokratischer Rechte für alle Palästinenser zu einer friedlichen Zweistaatenlösung führen. Für Lerman ist das Recht auf Selbstbestimmung ein entscheidender Faktor der Existenz Israels. Baumgarten sieht nur im persönlichen Dialog zwischen “beiden“  eine Lösung des für sie asymmetrischen Konflikts.

Am Spielfeldrand richtet man nichts aus

Von Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen von 1993 bis 1998, erwarteten die Organisatoren Antworten auf: „Europa und seine Möglichkeiten und Aufgaben im Nahen und Mittleren Osten“. Für ihn ist die Bedeutung des Nahen Ostens geringer geworden. Die Bedeutung politischer Prozesse hat sich in andere Weltregionen verlagert. Näher ging er auf die Situation in Syrien, im Irak und Israel ein.

Dr. Klaus Kinkel, Bundesaußenminister a.D., Chef des Bundesnachrichtendienstes a.D.  Foto: Thomas Nagel

Die Situation in Syrien und das Verhalten der Vereinten Nationen ist für ihn „unerträglich“. Was in Ägypten passiert ist „unglaublich und niemand sagt etwas was da passiert“. Zu hunderten werden Menschen zum Tode verurteilt und die Urteile bestätigt. Mut macht ihm die Entwicklung in Tunesien. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik sieht er zu sehr „am Spielfeldrand“ agieren. Durch die Wiedervereinigung Deutschland und den Zerfall der kommunistischen Systeme hat Deutschland stark profitiert. „Damit tragen wir auch eine besondere Verantwortung, natürlich ist Kritik oft leicht und besser machen schwieriger“.

Für den Iran keimen Hoffnungen

Mit der Rolle des Iran befasste sich Adnan Tabatabei. Aus dem revolutionären Staat, bis 1979 war es eine Monarchie, dann islamische Republik, ist dieser im laufe der Jahre wieder  außenpolitisch handlungsfähiger geworden. Iran betrachtet sich als Regionalmacht mit Rivalitäten zu Saudi-Arabien, der Türkei und Israel. Staatspräsident ist seit August 2013 Hassan Rohani. Die Verhandlungen über das Atomprogramm durch die Vertreter der E3+3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien sowie China, Russland, Vereinigte Staaten) laufen weiter, bis Ende Juli soll es eine Lösung geben. Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad hatte einen Konfrontationskurs gegen den Westen gefahren. Das sich neue politische Konstellationen anbahnen ist auch an der amerikanischen Politik gegenüber dem Iran zu sehen.

Friede ist der Grundauftrag aller Weltreligionen

Als die Veranstalter die Tagung konzipierten, konnten sie nicht wissen, dass am ersten Tag abends das Fußballspiel gegen die USA stattfindet. Es ersetzte den sonst obligatorischen Empfang durch die Stadt Nürnberg. Nach dem Spiel hielt Benjamin Idriz, Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg und Vorsitzender des „Münchner Forum für Islam e.V.“ den Festvortrag. Er widmete sich dem Thema: „Der Auftrag der Weltreligionen – Friede unter den Menschen“. Mit einem Stehempfang im Innenhof des Gewerbemuseums endete ein interessanter und inhaltsvoller Tag.                                                               

 

Begrüßung und Moderation:

 Gisela Bock, MdB a.D. Hildebrecht Braun und Generalleutnant a.D. Heinz Marzi

 

Mehr zum Thema:

Nürnberger Nachrichten - Seite 3 - vom 27.06.2014

Nürnberger Nachrichten - Seite4 - vom 28.06.2014

 

Oben                                                                                                                                                                   Zurück

Unsere Partner: