Volksaufstand in der DDR vor 60 Jahren

Von Peter E. Uhde

Zum sechzigsten Mal jährt sich der Volksaufstand der Bürger in Ostberlin und der DDR gegen ihre Regierung und die sozialistische Einheitspartei. Wurde der Aufstand bis 1990 noch mit dem Nationalen Feiertag in der Bundesrepublik Deutschland jährlich ins Gedächtnis gerufen, ist er heute bei der Bevölkerung fast vergessen. Da die Ereignisse sicherheitspolitische Auswirkungen im Osten wie Westen gehabt haben, hier ein zusammengefasster Rückblick.

Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) 1949 entwickeln sich zwei Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Die Gründung der Nordatlantischen Allianz (1949) und der Beginn des Koreakrieges (1950) lenken von den innerdeutschen Entwicklungen ab. Die DDR gibt sich pazifistisch,  rüstet aber auf. Die Aufstellung von „Nationalen Streitkräften der DDR“ wird beschlossen. Die Bundesrepublik orientiert sich an den Alliierten. Mit der sogenannten Stalin-Note vom März 1952, dem Angebot für ein neutrales Deutschland,  will der sowjetische Diktator die Westbindung der Bundesrepublik unterlaufen.

Das Unheil nimmt seinen Lauf

Im Juli 1952 beschließt die 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) den „Aufbau des Sozialismus“. Das bedeutet die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Kollektivierung der Landwirtschaft und Verschärfung der ideologischen Beeinflussung der Bevölkerung. Die Demarkationslinie wird befestigt, eine fünf Kilometer breite Sperrzone, unter Umsiedlung der dortigen Bewohner (Aktion Ungeziefer), errichtet. Mit Auflösung der Länder, Neueinteilung des Staatsgebiets in 14 Bezirke, einschließlich Berlin als Hauptstadt der DDR, werden die alten Verwaltungsstrukturen zerschlagen.

Am 5. März 1953 stirbt der sowjetische Diktator. Kaum ist Stalin beigesetzt, beginnen die Kämpfe um seine Nachfolge. Auch in der DDR wackelt Walter Ulbrichts Stuhl. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung, besonders der Arbeiter, sind immer schlechter geworden. Gerade sie sollten ja vom Sozialismus profitieren. Die Folge ist eine starke Flucht in den Westen. Bis zum Juni-Aufstand fliehen etwa 80.000 Bauern und 750.000 Hektar Wirtschaftsfläche ist damit herrenlos. Aber nicht nur Bauern, sondern qualifizierte Industriearbeiter, Handwerker, Mittelständler und Akademiker flüchten.

Hinzu kommt der Zustand der Produktionsanlagen. Sie stammen meist noch aus den zwanziger/dreißiger Jahren. Mit dem  ersten Fünfjahresplan (1951-55) wird versucht die Wirtschafts- und Versorgungsprobleme in den Griff zu bekommen. Infolge schlechter Ernten steigen die Preise für die Grundnahrungsmittel, rationiert werden Fleisch, Fett und Zucker. Ab 1. Mai erhalten rund 2 Millionen Bürger, Einzelhändler, Handwerker, Selbständige und private Unternehmer keine Lebensmittelmarken mehr. Sie sind damit gezwungen in den teuren Läden der HO (Handelsorganisation) einzukaufen.           

 Normerhöhungen sollen aus der Krise führen

Am 14. Mai 1953 beschließt das Zentralkomitee der SED eine Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent bis zum 1. Juli 1953. Die Stimmung unter den Arbeitern wird schlechter und aggressiver. Die Partei versucht mit Agitatoren und Presseartikeln die Bevölkerung vom eingeschlagenen Kurs zu überzeugen. Aber auch in der Partei und der Regierung gehen die Meinungen auseinander. Rücknahme der angeordneten Maßnahmen aber auch Entscheidungen zur aktiven Durchführung verunsichern die Bevölkerung. Auslöser des Streiks ist ein Artikel in der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ vom 16. Juni. „Jawohl, die Beschlüsse über die Erhöhung der Normen sind in vollem Umfang richtig“. Er endet: „…bis zum 30. Juni mit aller Kraft durchzuführen“. An diesem Tag sollte auch der 60. Geburtstag von Walter Ulbricht gefeiert werden.

Die Woche des Aufstands

In Berlin beginnen am 16. Juni friedliche Streiks und Demonstrationen. Die Volkspolizei löst die Menschenansammlungen  bis in die späten Abendstunden auf. Waren es zuerst männliche Arbeiter, schließen sich ihnen im Laufe des Tages auch  Frauen an. Die DDR-Sicherheitsorgane und sowjetische Truppen werden in Alarm- bzw. erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt.

Dienstag, der 17. Juni ist der zentrale Tag, der in die Geschichte eingeht. „Der Sturm wird zum Orkan“ heißt es in der Schriftenreihe Innere Führung im 1. Soldatenheft 1963, Herausgeber ist der Führungsstab der Bundeswehr. Seit sieben Uhr sammeln sich am Strausberger Platz Tausende von Demonstranten, die zu einem Protestmarsch zum „Haus der Ministerien“ aufbrechen. Sie kommen meistens von den Baustellen an der Stalinallee, der „ersten sozialistischen Straße Deutschlands“. Hier hatte es auch schon im Mai und den ersten Junitagen vereinzelte, kurze Arbeitsniederlegungen gegeben.

Gegen zwölf Uhr sind sowjetische Panzertruppen der 1. Mechanisierten Division in Berlin. Ein junger Ostberliner wird  von Panzerketten erfasst und getötet. Der sowjetische Stadtkommandant Generalmajor Pawel Dibrowa verhängt „ab 13 Uhr…“ den Ausnahmezustand im sowjetischen Sektor. Sowjetsoldaten und Polizei schießen an vielen Stellen gezielt auf Demonstranten. Am Nachmittag ist die Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin abgeriegelt. Während der Aufstand in Berlin niedergeschlagen ist, geht er in über 600  Orten an den nächsten zwei/drei Tagen weiter. Zu den Forderungen nach Rücknahme der Norm- und Preiserhöhungen, kommen im Laufe der Tage politische Forderungen hinzu, die die Unzufriedenheit mit der SED und der Marionettenregierung Moskaus deutlich machen. „Für freie Wahlen“ ist auf Transparenten zu lesen, Forderung nach Freilassung politischer Gefangener oder auch die Einheit Deutschlands sind zu hören. In Berlin und Leipzig wird der Ausnahmezustand erst nach 25 Tagen aufgehoben.

Der Westen ist vom Aufstand überrascht worden

Die erste offizielle Reaktion der Bonner Regierung ist der Aufruf des Ministers für Gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser. In der Nacht des 17. Juni wird dieser über den RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) Berlin verbreitet. Er soll zur Beruhigung und Besonnenheit der Bevölkerung dienen. Befürchtungen bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den Sowjets und den Alliierten stehen im Raum.

Bei der Sitzung des Bundestages am 17. Juni erklärt Bundeskanzler Konrad Adenauer u.a. „Die Bundesregierung empfindet mit den Männern und Frauen, die heute in Berlin Befreiung von Unterdrückung und Not verlangen. Wir versichern ihnen, dass wir in innerster Verbundenheit zu ihnen stehen“. Aber auch die Alliierten sind von den Geschehnissen überrascht worden und drücken in einer Protestnote „ihre äußerste Sorge über die Ereignisse“ aus.

„Wir werden nicht ruhen und nicht rasten“

Am 21. Juni finden Gedenkfeiern in Bonn und Berlin zu Ehren der Opfer der Volkserhebung statt, zwei Tage später ist eine Trauerfeier in Berlin. 55 Tote im Zusammenhang mit dem 17. Juni sind bis heute bekannt. Bundeskanzler Adenauer, dem angelastet wird, dass er nicht zu Beginn des Aufstandes nach Berlin gekommen ist, erklärt hierbei: „Wir werden nicht ruhen und nicht rasten – diesen Schwur lege ich ab für das gesamte deutsche Volk – bis auch sie wieder Freiheit haben, bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit“.

Aufstand auch in Leipzig. Bundesarchiv, Bild 175-14676 / CC-BY-SA

Aus Sicht der DDR-Regierung war die Volkserhebung ein provozierter faschistischer Terror. In der Presse werden Beispiele geschildert, um das Verhalten des sowjetischen Militärs und der DDR-Sicherheitsorgane zu rechtfertigen. Viele Streikteilnehmer werden aus ihren Betrieben entlassen. Tausende Bürger werden durch den Staatssicherheitsdienst und die Sowjetarmee verhaftet. Die Gerichtsurteile reichen von der Gefängnisstrafe bis zu lebenslangem Zuchthaus und Vollstreckung von Todesstrafen. Ein Teil der Verurteilten wird zur Verbüßung der Strafe in die Sowjetunion verlegt.

 Tag der deutschen Einheit

„Am 17. Juni 1953 hat sich das deutsche Volk in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin gegen die kommunistische Gewaltherrschaft erhoben und unter schweren Opfern seinen Willen zur Freiheit bekundet. Der 17. Juni ist dadurch zum Symbol der deutschen Einheit in Freiheit geworden Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen. § 1 Der 17. Juni ist der Tag der deutschen Einheit. § 2 Der 17. Juni ist gesetzlicher Feiertag. § 3 Dieses Gesetz gilt …auch im Lande Berlin. § 4 Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Bonn den 4. August 1953.“

Am 17. Juni 1990 versammeln sich die Abgeordneten der beiden deutschen Parlamente im Ostberliner Schauspielhaus anlässlich der Gedenkstunde zum „Tag der deutschen Einheit“. Drei Monate später ist Deutschland wieder vereint. Der 3. Oktober erinnert nun an diesen historischen Moment. Die Tage vom Juni 1953 sind inzwischen historisch umfassend aufgearbeitet, doch die Erinnerung daran verblasst.

Literaturhinweise:

Juni-Aufstand, Dokumente und Berichte über den Volksaufstand in Ostberlin und der Sowjetzone. Hrsg. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, o. J. (?1953/54)

Wir wollen freie Menschen sein - Der 17. Juni 1953 in Dokumenten. Schriftenreihe Innere Führung, Soldatenheft 1/63, Hrsg.: Fü S I 6,  

Baring, Arnulf: Der 17. Juni 1953. ISBN 3-421-06132-7, 1983.

Knabe, Hubertus: 17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand. ISBN 3-549-07182-7, 2003.

Diedrich, Torsten: Waffen gegen das Volk. Der 17. Juni in der DDR. ISBN 3-486-56735-7,2003.

17. Juni 1953: Dossier der Bundeszentrale für Politische Bildung. 2013.

 

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